Freitag
29.12.00/257. Weltreise-Tag:
Da wir das freundliche Angebot des Holiday
Inn in Sydney für über 600A$ pro Nacht ausgeschlagen
haben, geht die gestern begonnene
Suche
nach
einem Zimmer in Sydney zur Hochsaison heute weiter.
Aber die Zimmersituation wird so kurz vor Silvester mit jedem Tag aussichtsloser:
Überall
begegnen wir frustrierten Rucksackträgern auf der Suche nach einer Bleibe.
Wir sehen uns vor die Wahl gestellt, entweder Sydney zu verlassen oder doch
in höhere Preisklassen auszuweichen.
Im De Vere Hotel ergattern
wir das letzte über Silvester verfügbare Zimmer. Sein Preis für die Silvesternacht
liegt um mehr als 100% höher als an allen anderen 364 Tagen des Jahres.
Noch in
unserem
Beisein werden mehrere Telefonate mit einem freundlich- bedauernden "Sorry,
we're fully booked" beendet.
Im Metro- Monorail über
Sydneys
Straßen schwebend erkennen wir, warum sich unsere Beine wie Blei
anfühlen:
Gestern haben wir uns fast das gesamte Gebiet zwischen
Darling Harbour und Kings Cross im Zickzackkurs erlaufen.
Wir bleiben erst mal sitzen und während der zweiten Runde präzisiert
sich unser heutiges Programm:
Am Darling Harbour steigen wir aus und
kaufen uns Tickets für das Sydney
Aquarium (20 A$).
Stundenlang laufen wir dann unter dem Meeresspiegel aber trockenen
Fußes durch
große
gläserne Röhren und bestaunen Australiens Unterwasserwelt.
In den 7.000.000 Litern
Seewasser des Aquariums schwimmen 11.000 australische
Tiere.
Von allen Seiten hören
wir die multilingualen Ahhs und Ohhs des verzückten internationalen Publikums.
Tauchen ist zwar schöner, aber für uns unerschwinglich (~50 A$) und unser Zeitplan
für Australien wird uns voraussichtlich keine Gelegenheit zu preisgünstigem „Aushelfen“ lassen.
Und wir wollen doch wenigstens wissen, was wir dieses Mal hier unter
Wasser alles verpassen werden.
Bei einbrechender Dunkelheit
schlendern wir mit Tausenden gemeinsam und doch eigenartig intim die
großzügige Promenade von Darling Harbour entlang.
Links von uns schicke Restaurants, Straßencafes, Pubs und Discos, rechts auf
dem Meer hochglanzgewienerte
Luxusjachten.
Für knapp 300 A$ kann man das Feuerwerk in zwei Tagen auch von einem Boot aus
betrachten.
Wir gelangen zum nahe gelegenen Hi- Tech IMAX-Theatre.
In 10 Minuten soll der Film
"The Journey Of Man" beginnen.
Gerade genug Zeit, um noch Tickets für den ersten 3D- Film unserer Leben zu
erstehen.
In den komfortablen Kinosesseln
setzen wir die bequemen 3D- Brillen mit Flüssig- Kristall- Beschichtung auf
und versinken in der monumentalen Leinwand des Kinos.
Der IMAX 3D- Projektor wirft 100 Mal pro Sekunde alternierend
Bilder für Hunderte
rechte und ebenso viele linke Augen auf eine 28x38 qm große gerundete Leinwand.
(Die Bilder des 70mm/15 Films laufen, wie üblich, mit 24 Rahmen/sek.)
Von der Bühne aus synchronisieren Infrarotsignale das Verhalten der Flüssigkristalle
unserer 3D- Brillen so, dass abwechselnd jeweils ein Auge blind geschaltet
wird.
Unsere kleinen grauen Zellen arbeiten viel zu träge, um davon etwas mit zu
kriegen und vermitteln uns fälschlicherweise ein perfektes dreidimensionales
Bild.
Auch der Ton kann sich sehen lassen: Ein 15000 Watt Digital- Surround- Sound-
System ist mit den Lautsprechern gekoppelt, die in unsere Brillen eingebaut
sind. Der Ton kommt so auch von vorne, hinten und schräg.
Wir vergessen die Technik und werden Teil der magisch-
exotischen Welt des Cirque du Soleil, der uns mit faszinierenden Darbietungen
die
Geschichte der Menschheit erzählt. Beginnend in den Tiefen des Ozeans, werden
wir sodann in tropische Regenwälder und in schwindelerregende Höhen mächtiger
Gebirgsmassive entführt, um
schließlich... aber wir wollen nicht alles verraten... Lasst Euch verzaubern,
wenn sich die Gelegenheit bietet!
Wir jedenfalls haben die 16 A$ Eintritt nicht bereut.
Direkt nach Verlassen des IMAX stolpern wir unverhofft über die nächste
Attraktion:
Blues mit Lasershow über Darling Harbour. - Klasse!
Samstag
30.12.00/258. Weltreise-Tag:
Und wieder laufen wir durch Sydneys Straßen.
An
Martin’s Place wird gerade der riesige Weihnachtsbaum abmontiert
und für’s nächste Jahr eingemottet.
Wir wollen versuchen, Astrids Psion reparieren
zu lassen.
Der kleine internettaugliche Handheld- Computer mit der voll funktionsfähigen
Tastatur ist das Gedächtnis für unsere Reiseberichte.
Gestern haben wir eine Psion- Reparaturstelle bei Elektronik- George in der
George- Street gesehen, die aber leider schon geschlossen war.
Heute ist offen.
Aber der Psion-Techniker rät uns von der Reparatur des leidigen Flachkabels
ab:
Wir sollten besser ca. 750 DM in einen neuen Psion investieren!
Vielen Dank,
auf Wiedersehen...
Inmitten der 3 Mio.- Metropole zwischen Town Hall und Queen Victoria
Building erhebt sich die St.
Andrew Cathedral, die älteste Kirche Australiens.
Der Grundstein zu dieser spätgotischen Kirche wurde im Jahre 1819 gelegt.
Seit 1999 wird sie restauriert.
Im Innern der Kirche wird uns plötzlich bewusst, welch hektische Betriebsamkeit
außerhalb der Mauern herrscht.
Australische
Mentalität sei es, gegen Forderungen wie "Du sollst" oder "Du
musst" zu
rebellieren.
In Sydney äußert sich das besonders an Fußgängerampeln, deren Rotphasen
häufig wie reine Energieverschwendung anmuten.
Für Ausländer, die nicht gleich mit dem etwas verwirrenden Linksverkehr zurechtkommen,
ist vorsorglich „LOOK RIGHT!“ auf die Straße geschrieben.
Ganz konform verhalten sich Aussies
hingegen, wenn sie Busse benutzen: Vorne rein, hinten raus.
Als Astrid versehentlich hinten einsteigen will, wird sie von der empörten
Fahrerin zur Rede gestellt.
Astrid versucht, sich zu entschuldigen: "Sorry, I'm a foreigner." - "Where
from ?" - "Germany." Ihr Blick scheint Astrid vernichten zu
wollen.
Was auch immer sie über Astrid oder die Krauts
denkt...
sie schluckt es runter.
Diese
kleine Begebenheit schildern wir eigentlich nur, weil sie die
absolute Ausnahme darstellt:
Überall sonst sind wir nur auf (nach europäischem Maßstab) überdurchschnittlich
nette und besonders hilfsbereite Aussies getroffen, die sich fast ein Bein ausgerissen
hätten, um uns weiter zu helfen.
Sonntag 31.12.00/259. Weltreise-Tag:
Heute wird also das von Millionen freudig erwartete Feuerwerk stattfinden.
Eigentlich
sind
es sogar zwei:
Eine erste, kürzere „Show“ um 21 Uhr für die Kinder und dann das Hauptfeuerwerk
zum Jahreswechsel.
Die arbeitenden
Bevölkerungsanteile
schaffen dann jeweils mit halber Besatzung, damit jeder wenigstens eines der
Feuerwerke betrachten kann.
Seit gestern Abend bereits zieht es immer mehr Leute in die Hafengegend.
Etliche haben am Kai übernachtet und seit heute Mittag füllen sich langsam
auch entferntere Aussichtsplätze mit picknickenden Aussies.
Bei Jolly Swagman wird gegrillt:
Überall sitzen Backpacker und warten darauf, dass die für Australien so typischen
Riesensteaks außen knusprig, innen rosig sind.
Plötzlich entsteht Tumult auf der Rasenfläche vor uns. Ein ca. 14-jähriger
bewusstloser Junge wird von einem jungen Mann in den Armen getragen
und ins Gras gebettet.
Das Gesicht des leblosen Jungen ist kalkweiß, die Lippen bläulich angelaufen,
auf der Stirn
stehen dicke Perlen kalten Schweißes.
Alles stürzt zu ihm. Eine junge, nur mit Jeans und BH bekleidete Frau, die
gerade eben noch auf dem Rasen ihren Rausch ausschlief, ergreift ungeachtet
unserer Worte beherzt die Initiative
und
kontrolliert fachmännisch die Vitalfunktionen.
Alle Umstehenden scheinen sehr besorgt und hilfsbereit, einer ruft den Notarzt.
Eine Überdosis Heroin.
Jeder hier kennt die Symptome und weiß aus vielen ähnlichen Vorkommnissen,
was zu tun ist.
Alle paar Sekunden fragt jemand: "Atmet er noch? Schlägt sein Herz noch?
Der Junge krampft. "Don't freak out" ruft immer
wieder
einer der Helfer, ein anderer tätschelt dem Unbekannten die Wangen: „Stay
with us, we love you!“
Als die Notärztin kommt, weichen die Umstehenden respektvoll zurück. Ein kurzer
diagnostischer Blick reicht ihr.
Unmittelbar nach Injektion eines Morphinantagonisten ist der Junge wach, etwas
desorientiert und voll auf cold turkey.
Die Ärztin geht, ihr Job ist getan.
Jetzt sind die Polizisten an der Reihe.
Jemand hat gerade das Portemonnaie des eben noch halbtoten Junkies gestohlen,
um sich so seinen nächsten Schuss zu finanzieren. Das Leben um Kings Cross
herum kann hart sein...
Gesättigt kehren wir ins Hotel zurück, um das Stativ zu holen.
Dann machen wir uns auf
die
Suche nach einem guten Aussichtsplatz für’s Feuerwerk.
Überall in der Stadt kursieren Pläne mit den besten Aussichtspunkten. Zehn Minuten
von uns entfernt liegt Potts Point. Er ist zwar nicht in diesen Plänen vermerkt,
wurde uns aber von "Sydneysidern" empfohlen.
Scharen von Menschen ziehen bepackt mit Decken, Essen und Getränken durch die
Stadt.
Die guten Aussichtsplätze sind unschwer an den sich punktuell versammelnden,
trinkfreudigen und ausgelassenen Zweibeinern zu erkennen.
Wir finden einen winzigen Platz am Fuße eines der mehrstöckigen Mietshäusern,
den bislang noch keiner fand.
Die Grundstücke sind
Privatgelände,
Kameras überwachen die Einfahrten, sämtliche Fenster sind vergittert. Viele
Häuser haben Portiers oder Nachtwächter in der Eingangshalle.
Unsere Sorge, verscheucht zu werden, ist für heute unbegründet.
Es ist der klarste Tag seit unserer Ankunft in Sydney.
Mit der untergehenden Sonne verlassen scharenweise
"Fliegende
Füchse" ihre Unterkünfte und gehen auf Nahrungssuche.
Doch wie schon in Sabang,
Palawan, Philippinen, bekommt man sie nur schwer formatfüllend vor die Linse.
Das Gemurmel der sich stetig vergrößernden Zuschauermassen unter uns wird
lauter.
Alles wartet gespannt auf den ersten Teil des Sydney-Neujahr-Feuerwerk ...
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