Tonga: Hurrikan Waka verwüstet
Vava'u in der Silvesternacht 2001
Silvester - Montag,
31.12.01
Schon mal ins neue Jahr geflogen statt gerutscht?
short- version in english
Wir auch noch nicht, aber diesmal haben
wir Chancen:
Bereits ab Vormittag sendet Radio Tonga zunächst stündlich, dann halbstündlich
Warnungen wegen des nahenden Zyklon Waka und gibt die deshalb gecancelten
Flüge von Royal Tongan Airlines und Air New Zealand bekannt.
Schlechte Nachrichten für Adam und Fiana, die heute rechtzeitig zur eigenen
Neujahresfeier eigentlich nach L.A. fliegen wollten.
Der Kauf eines kleinen Radios auf Tonga lohnt, wenn man über aktuelle
Ereignisse
informiert sein will.
Aber erst heute bewährt sich das vor Wochen erstandene Mini- Radio im
Ghettoblaster- Look wirklich.
Der kleine Billig- Empfänger (15 DM bei Prema) hat sogar einen DC- Eingang,
der mit dem Stecker unseres Aldi- Rasierer- Netzgerätes kompatibel ist!
Und das Ding dudelt uns jetzt den ganzen Tag Sing- Sang- Südseeweisen
und Sturmwarnungen ins Ohr.
Bereits gestern hat es gelegentlich geregnet, aber erst heute Nachmittag
ziehen wirklich schnell wirklich dunkle Wolken auf.
Um 16 Uhr ist es bereits so dunkel wie sonst erst kurz nach Sonnenuntergang
gegen
18:30.
Der Wind aus Nordost frischt auf und bläst agressiv- böeig dicke Regentropfen
gegen die Fenster.
Ohne wasserdichte Kamera kann man draußen jetzt keine Fotos mehr schießen.
Vieles um uns herum steht bereits unter Wasser, während Sydney (laut Psion)
1999km südwestlich von uns im Qualm riesiger Buschfeuer erstickt.
“Was machst Du eigentlich an Silvester?”
hatten wir in den letzten Tagen viele tonganische Freunde gefragt:
Die meisten Tonganer gehen Silvesterabend mit ihrer Familie gegen 21:30
in die Kirche, wo mehrere Kirchenmitglieder zunächst ihren Jahresrückblick
referieren, bevor der “special service” um 23 Uhr beginnt. Wenn
das neue Jahr um Mitternacht eingeläutet wird, ist die ganze Gemeinde
im Gebet
versammelt
und sieht einem “new year of praise” entgegen.
Knallfrösche und Heuler werden auf Tonga nicht an Silvester, sondern zu
Weihnachten gezündet. Erstmalig zur Jahrtausendwende war auch ein Feuerwerk
veranstaltet worden. Im folgenden 2001 hatte der Besitzer des christlichen
TV- Senders OBN ein Neujahres- Feuerwerk gesponsert. Dieses Jahr soll
das Geld - und, wenn es so weitergeht, auch das Wetter für ein Feuerwerk
fehlen:
Draußen schlagen nämlich die ersten
Bananenstauden
gegen die Holzwände unserer Unterkunft. Die noch vor wenigen Stunden in
voller Breite intakten Bananenblätter sind von den stürmischen
Böen inzwischen zu Streifen gebeutelt. Einige Bananenbäume werden den
Sturm trotz dieser genialen Überlebensstrategie nicht überstehen, weil
sie nur flach im dünnen Erdboden wurzeln.
Aus dem Radio schallt die Warnung des tonganischen electric power board:
Der tropische Wirbelwind
Waka
könne die zentrale Stromversorgung der Inseln Vava’u, Ha’apai, ‘Eua und
Tongatapu (Karten
von Tonga) gefährden. Eine “appropriate
emergency preparedness”
beinhalte die sofortige Bevorratung mit alternativen Leuchtmitteln wie
Kerzen, Kerosin, und Taschenlampenbatterien. Gewarnt wird vor zerissen
herabhängenden Drähten, besonders
auch
wegen der Nässe.
Neben professioneller Organisation klingt Nervosität aus dem Äther, als
sich der Sprecher beim Durchsagen der Notrufnummern verhaspelt.
Unser Nachbar nagelt sein Nord-Ost- Fenster
zu. Die unterzähligen Scheiben der auf Tonga allgegenwärtigen Lamellenfenster
konzentriert er auf die Luvseite seines
Hauses.
Aufgeregt gehen wir durch sämtliche Zimmer des momentan in unserer Obhut
befindlichen Backpacker's und schließen alle Fenster.
Es ist Astrids erster Zyklon und ängstlich- gespannt erfragt sie Details
von sturmerprobten Tongalesen.
Viele erinnern sich noch sehr genau an
den Hurrikan von 1961 und an die verheerende Überschwemmung durch Zyklon
Isaac im Jahr 1982, die 45.000 Tonganer obdachlos machte und auf einigen
Inseln 95% der Lebensformen verschluckte (Tonga
in the news). Stets kamen sie in der hurricane
season zwischen November und April.
Isaak war der GAU, weil er über einen Tag lang direkt über Tonga blieb,
bevor er endlich weiterzog.
Wie immer, wenn es auf Tonga um ernste Themen geht,
wird auch darüber gewitzelt:
Debbies Großmutter habe sich beispielsweise
damals
mit der Bibel ins Bett verzogen.
Überall habe es gedröhnt, gerüttelt und gescheppert. Der Wind selbst war
schon ohrenbetäubend laut. Etwa so, als seien rund ums Haus mehrere Flugzeugturbinen
installiert.
Die Kokosnüsse hatte Isaac alle schon von den Palmen gefegt, jetzt knickte
und entwurzelte er seit Stunden Bäume.
Manchmal glaubte sie, durch das Geheul und Gekrache hindurch, Maschinengewehrsalven
zu hören.
Es
war aber nur das Knattern der vom Sturm bizarr herumgewirbelten und tausendfach
geknickten Wellblechdächer.
Was soll man Anderes machen, als zu beten, wenn einem Draußen die Bäume
um die Ohren fliegen?
Als es plötzlich ganz hell um sie wurde, sich der Himmel auftat und sie
Wolken über sich erblickte, wähnte sich die alte Tonganerin bereits beim
Herrgott.
Dann krachte es mächtig
und
schlagartig war sie völlig durchnässt. Erleichtert erkannte sie, dass
sie noch immer von dieser Welt war: Der Sturm hatte nur ihr Dach abgedeckt
und über die Straße gegen das Nachbarhaus geschleudert.
Viliami lacht heute darüber, dass er damals eine höchst unbequeme Nacht
zwischen Kokosnüssen verbrachte.
Er hatte sich, von der heranbrausenden Flutwelle überrascht, in höchster
Not auf eine Palme gerettet.
Verzweifelt klammerte er sich an ihr fest, als sich der flexible Stamm
bis zur Waagerechten im Sturm beugte. "Mit spitzen scharfen Palmblättern
geißelte mich der über 80 km/h schnelle Wind."

Zum Beweis zeigt uns Viliami (="Wilhelm") zahlreiche Schnittnarben
an Körper und Händen.
Als sogar Container durch die Luft wirbelten, suchten viele Zuflucht in
den höher und solider gebauten Kirchen.
Kinder, Katzen, Kerzen und Kerosin- Lampen, Hühner, Schweine und sonstige
Habseligkeiten im Schlepptau.
Doch in Vava’u hatte Wirbelsturm Isaac auch das Dach der Kirche
zum
Einsturz gebracht und damit etliche Katholiken erschlagen...
Das Radio meldet gerade, dass sich Zyklon Waka gerade 186 km nordwestlich
von Vava’u nähert und phänomenal hohe zerstörerische Wellen vor sich her
treibt.
Derzeit entwickelt Waka Windgeschwindigkeiten bis zu 145 Knoten...
Wenn überhaupt, füllen sich die an der Wasserfront konzentrierten Bars
und Kneipen Tongas an Silvester erst kurz vor Mitternacht.
Das Ende des alten Jahres gehört auf
Tonga dem Herrn, der Anfang des neuen den Nationalgetränken Kava
und Ikale.
Eigentlich wollten auch wir kurz vor Mitternacht runter zur Waterfront,
um uns dort in einer der Bars zwanglos mit Freunden zu treffen.
Aber es herrscht Sauwetter und Radiohören ist gerade
so
spannend - was kommt eigentlich im Fernsehen?
Auf beiden Sendern Tongas werden prioritätsgemäß seit Stunden ununterbrochen
Silvester-Gottesdienste übertragen. Kein Wort von Waka.
Dann schlägt's Zwölf - 2002 p.Chr..
Mit dem tonganischen Kiwi Joe hocken wir im Backpacker's, als die im Hafen
von Nuku’alofa liegenden Conatainerschiffshörner lauthals das neue Jahr
eintröten.
Mit Cola und einem Anstands- Schuss Wodka stoßen wir auf den Jahreswechsel
an.
Dann versuchen wir vergeblich, telefonisch ein Taxi zur Waterfront zu
bestellen. Selbst tonganische Hunde würde man bei diesem Wasserwerfer-
Wetter nicht vor die Tür jagen.
Im Radio melden sie, dass Cyclone Waka nur noch 100 km von Vava’u
entfernt ist. Er bewegt sich mit 12 Knoten/h weiter auf Vava’u zu.
Behält er den augenblicklichen Kurs bei, wird sein Zentrum gegen 2 Uhr
nur etwa 17 Meilen von Vava’u erwartet!
Derzeit erreicht Waka maximale Windgeschwindigkeiten um
250
km/h!
Bleibt Waka auf Kurs, wird er morgen Vormittag auch 10 Meilen entfernt
von Hauptinsel Tongatapu (wo wir gerade sind) eintreffen. Wir schneiden
die Radiodurchsage als .wav- File mit. Englischer Link dazu: http://www.reliefweb.int/
Draußen heult der Wind und klatscht Bananenblätter an unser Fenster.
Wenn die Vorhersage stimmt, werden wir morgen einen langen erschöpfenden
Tag haben.
Wir beschließen, wenigstens noch ein bisschen zu schlafen.
Waka wird uns wecken, wenn es soweit ist...
Neujahr - Dienstag, 01.01.02
Zyklon Waka hat offensichtlich eine Kurve gekratzt und ist nun doch
weit
an
Tongatapu vorbei gewirbelt.
Im Schlaf haben wir nur seine äußeren Ausläufer miterlebt.
Als wir aufwachen ist der Sturm vorüber, aber es nieselt und windet noch.
Die Straßen Nuku’alofas sind wie leer gefegt. Ganz vereinzelt sieht man
einige Restalkoholiker unsicheren Ganges zu ihrem Auto wanken, um nach exzessiver
Silvesterparty endlich nach Hause zu fahren.
Eine mittelalte stämmige Tonganerin
lehnt
haltsuchend am Telefonmast. Einige Knöpfe ihrer Bluse haben vergangener
Nacht nicht Stand gehalten und sie trägt sie auf Links. “Seine königliche
Hoheit der Kronprinz hat frühmorgens im Pacific Royal Hotel Lokalrunden
geworfen” lallt sie.
Ob Waka auf Tongatapu wohl großen Schaden angerichtet hat?
Lopeti, er ist auf Flughafen- und Inselrundfahrten spezialisiert, fährt
uns mit seinem Großraum- Taxi durch ganz Tongatapu. Der ehemalige Berufsboxer
hatte uns mal kostenlos mitgenommen, als er uns mit Rucksäcken durch die
Mittagshitze marschieren sah. Seither nehmen wir seine Dienste auch gerne
zahlend öfters mal in Anspruch.
Jetzt sind wir mit ihm auf der Suche nach Sturmschäden, finden aber kaum
welche: Vereinzelt umgefallene Bananenstauden, ein
paar
entwurzelte Kokospalmen, ein mächtiger Noanoa- Baum quer über der Straße
und ein ruiniertes älteres Vorgartenhaus (vgl. Fotos oben).
Sogar das bei der letzten Flutwelle zerstörte und erst Juli 01 wieder eröffnete
Good
Samaritan Inn (freitags sehr gutes Dinner- Buffet und Floorshow)
hat den Sturm gut überstanden: Unbeschädigt leuchtet seine blaue Dachschutzfolie
am Strand von
Kolovai.
Aber von der Insel Vava’u weiß und hört man nichts.
Die wenigsten unserer Bekannten dort haben Telefon, aber dass wir auf der
Insel Vava’u überhaupt niemanden erreichen können, beunruhigt uns doch etwas.
Aus dem Hörer klingt nur immer das Freizeichen.
In den Nachrichten heißt es, dass Zyklon Waka zwar an Tongatapu vorbei,
aber wahrscheinlich mitten durch Vava’u gerast ist.
Genaueres weiß noch niemand, weil die sowieso mangelhafte Telefonverbindung
zu den nördlicheren tonganischen Insel abgebrochen ist.
Die besten Infos finden wir im Internetcafe, wo sogar der Weg von Zyklon
Waka abgebildet ist.
Donnerstag, 03.01.02
Wie NZ Herald
heute berichtet,
hat
das Königreich Tonga Neuseeland um Hilfe bei der Aufnahme des Hurrikanschadens
gebeten.
Gestern patroullierte eine neuseeländische Orion (nicht die 8.) im Luftraum
über den nördlicheren Inseln Tongas.
Von ihren Erkenntnissen wird die Höhe der internationalen Katastrophenhilfe
für Tonga abhängen.
Freitag, 04.01.02
Langsam werden immer mehr Details über die Schäden des Hurrikans
Waka bekannt:
Auf Vava’u hat Waka einen Großteil der Gebäude sowie der Ernten zerstört
und tonnenweise Palmen entwurzelt. Wie durch ein Wunder sind keine Menschenleben
zu beklagen. Aber auch so hat Zyklon Waka eine verheerende Schreckensbilanz
hinterlassen:
Strom- und Trinkwasserversorgung auf Vava’u sind ebenso wie die Telekommunikation
völlig zusammen gebrochen.
Der Sturm hat die hölzernen Strom- und Telefonmasten wie Streichhölzer
geknickt. Das erste Hilfsflugzeug musste umkehren, weil es nicht
auf dem landen konnte, was früher die Landebahn von Vava’u war. An einer
genauen Schadensaufnahme arbeitet das National Disaster
Management Committee noch.
Derzeit
wird
der von Waka angerichtete Schaden auf 11 Mio T$ geschätzt. Eine horrende
Summe für das kleine Drittwelt- Königreich, um dessen Finanzen es in der
letzten Zeit eh nicht gut bestellt war.
Somit ist eines bereits klar: Tonga kann die Folgen von Zyklon Waka nicht
ohne materielle (Lebensmittel, Decken, Wasseraufbereitungsanlagen, Sägen,
Bagger, Kräne...) und finanzielle Hilfe aus dem Ausland meistern.
Ausgerechnet heute gibt auch die Telefonleitung des tonganischen Roten
Kreuzes in Nuku’alofa ihren Geist auf.
Das hat aber nichts mit Waka zu tun, sowas passiert bei dem Telefonkabelsalat
auf Tonga schon mal.
Die Frage ist nur, wann TCC jemanden schickt, um die Leitung zu reparieren.
Montag, 07.01.02
Astrid sitzt mit Juliane auf Suliana's' Balkon,
der deutschsprachigen Kommunikations- Zentrale von Tongatapu.
Von hier schaut man hinunter auf Nuku'alofas Hauptkreuzung.
Neben einem sagenhaften Ausblick auf das bunt pulsierende Leben der Hauptstadt
kann man in Suliana's Café & Restaurant leckeres (Palangi-)
Essen genießen. Exklusiv für Tongatapu gibt's hier auch echten
Käsekuchen und gelegentlich klassische Musik.
Juliane erklärt gerade, wie der Name ihres Restaurants entstand:
"Tonganer kennen den Buchstaben "J" nicht und tauschen
ihn, wie auch beim Namen "Jesus" gerne gegen ein "S"
aus".
Ebenso wenig kennt man im Deutschen den tonganischen Buchstaben "
' ", der wie eine Sprechpause
ausgesprochen wird. Tonganisch ist übrigens weltweit die einzige
Sprache der Welt, in der die Abwesenheit eines Buchstabens selbst einer
ist.
Während sie über die Tonganische Sprache reden, sehen sie Alex
mit Ehemann Joseph die Außentreppe zu
Ihnen hinauf steigen.
Beide kehren gerade aus Vava’u zurück und sind die ersten Waka- Augenzeugen,
die wir treffen.
Sie sind noch immer wie betäubt von den Ereignissen der Silvesternacht
und
dem von Waka angerichteten Chaos.
Nach ihren Tauchabenteuern auf Tongatapu und in den Höhlen von ’Eua wollte
das Paar noch ein paar ruhige und erholsame Tage auf einer kleinen Insel
der Vava’u- Gruppe verbringen.
Ihr Silvester- Aufenthalt dort sollte für Joseph und Alex das bislang
gefährlichste Abenteuer ihres Lebens werden...
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