Tonga:
Hilfsversuche nach der Verwüstung von Vava'u durch Hurrikan Waka
Mittwoch,
09.01.02
Im nur halb verfallenen Gebäudekomplex des Roten Kreuzes von
Tongatapu
herrscht
Totenstille.
Durch die Ritzen der windschiefen Wände schneiden Finger von Sonnenlicht
staubgeschwängerte Luft. Die meisten Räume stehen bis auf ausrangiertes
Sperrmüllgerümpel leer.
Wahrscheinlich fließen auf Tonga mehr Gelder über kirchennähere Caritas-
Organisationen.
Im Nebengebäude
steigen
wir über morsche Holzstufen ins obere Stockwerk.
Da kommt uns Kato entgegen.
Seit mehr als 30 Jahren ist sie Field- Officer des Roten Kreuzes in
Tonga. Sie führt uns in ihren Arbeitsraum, wo sie uns zwischen krank
und gebraucht aussehenden Reanimationspuppen, angestaubten Aktenbergen
und stummen Telefonen
die aktuellen Erkenntnisse des NDMC erörtert:
Weder Telefon noch Elektrizität (z.B. Wasserpumpen) funktionierten auf
Vava’u. Die gesamte Natur sei unter einen gigantischen
Rasenmäher
gekommen.
Bananen- Kava- und Vanille- Pflanzungen seien auf Vava'u restlos zerstört,
ebenso die kommende Brotfrucht-, Wurzel- und Gemüseernte.
Sind die noch unter Erde steckenden Knollen (Yam, Taro, Cape, Manioke)
erst mal aufgebraucht sind, werden bis zur nächstmöglichen Ernte Monate
des Hungerns vergehen.
Die laut Census ’96 auf Vava’u existierenden 2728 Haushalte (mit 15715
Einwohnern, davon 1420 über 50 J. und 2179 unter 5 J.) lägen zu 70- 90
%
in
Trümmern oder seien durch Zyklon Waka schwer beschädigt.
Ebenso seien Schulen, öffentliche Gebäude und Kirchen betroffen.
Viele Boote seien gesunken und eine Yacht sei gar gegen den Steg von Ana’s
Café geschleudert worden und habe ihn völlig zerstört.
Der bislang aufgelistete Schaden auf Vava’u
werde
auf 11 Mio. Pa'anga (= 1T$ = etwa 1 DM ähem 0,5 Euros ) hochgerechnet.
Erste Hilfsgüter wie Kerosin, Kerzen, Wasserentkeimungstabletten, Laken,
Zelte und Laternen seien bereits in Vava’u eingetroffen, oder auf dem
Weg dorthin.
Zwar habe Zyklon Waka auf dem nördlicheren Niua-Fo’ou ebenso heftig gewütet,
aber wegen der noch ursprünglicheren Lebensweise dort sei die Bevölkerung
besser auf Zyklone vorbereitet und der Sachschaden geringer:
Sobald
der Sturm vorüber ist könne man dort wieder Fischen gehen und Kokosfales
zum Wohnen seien schnell wieder aufgebaut.
Ernsthaft Verletzte oder gar Tote habe es glücklicherweise nirgends gegeben,
sodass man den Humor behalten habe.
„Das Einzige, wovon die dort oben genug haben - ist Kleinholz“ schließt
sie ihren Bericht.
Wir sind betroffen und bieten unsere Hilfe, u.a. in Form eines Spendenaufrufes
im Internet an. Vielleicht könne das Rote Kreuz ein Spendenkonto ausschließlich
für Waka- Schäden eröffnen?
Kato will deswegen Rücksprache mit der blaublütigen Vorsitzenden des Roten
Kreuzes, einer mit einem der Königssöhne verheirateten Samoanischen Prinzessin
halten
- sobald das Telefon wieder funktioniere.
Gerade als wir uns im Türrahmen stehend von ihr verabschieden, klingelt
das Telefon.
Zum ersten Mal seit 4 Tagen.
Wenn das Rote Kreuz in einer nationalen Katastrophensituation vier Tage
auf die Reparatur seiner Telefonleitung warten kann - wieso beklagen sich
einige Palangis, wenn die Instandsetzung ihrer defekten Leitung mehr als
eine Woche dauert?
Sobald
wir einen Weg gefunden haben, Spendengelder sicher und ausschließlich
in humanitäre Hilfe für die Ärmsten der Betroffenen zu verwandeln, werden
wir ihn hier bekannt geben.
Freitag,
25.01.02
Das NDMC hat gestern die endgültige offizielle Schadenshöhe veröffentlicht,
die
wohl auch als Grundlage für Spendengesuche ans Ausland dienen soll: 104
Millionen T$ soll der Schaden demnach betragen.
Noch immer suchen wir nach einem vertrauenswürdigen Spendenkonto, das
wir ruhigen Gewissens veröffentlichen möchten. Aber je mehr wir recherchieren,
desto aussichtsloser scheint dieses Unterfangen zu werden.
Am Nachmittag treffen wir auf ein weiteres Pärchen, das zum Jahreswechsel
auf Vava’u war.
Gespannt lauschen wir der Schilderung von Sarahs Silvesternacht:
Für den 31.12. hatten Sarah und Sione
eigentlich einen romantischen Jahreswechsel geplant.
Gegen Mittag mischten sich aggressive Böen in den steifen Wind und am
grauen Himmel sammelten sich
scharenweise
Seevögel, um vom offenen Meer in den Schutz von Inseln zu gelangen.
Wegen der Sturmwarnungen im Radio hatte Sione bereits am Nachmittag sämtliche
Fenster von Sarahs kleinem Holzhaus mit Brettern vernagelt, die Bananenstauden
im Garten gekappt und die Kokosnüsse in unmittelbarer Nähe zum Haus abgeerntet.
Seine Nachbarn hatten ihn belächelt, denn in neun von zehn Fällen
behalten die Zweckoptimisten Recht, weil der unberechenbare Kurs der Zyklone
sich doch noch ändert und man meist auch ohne aufwendige Schutzmaßnahmen
mit blauem Auge davon kommt.
Inzwischen musste es etwa Mitternacht, also Neujahr sein. Aber genau wussten
sie das nicht, denn bereits
vor
2 Stunden war der Strom ausgefallen.
Anfangs hatten sie versucht Kerzen aufzustellen, aber Wirbelsturm Waka
heulte durch sämtliche Fugen und blies sie immer wieder aus.
Zudem trieb Waka den Regen in kleinen Wellen durch Tür- und Fensterspalten.
Im Haus stand das Wasser bereits Zentimeter hoch, als eine fliegende Brotfrucht
mitten durch das geschlossene Fenster schlug.
Die Hauswände bogen sich förmlich unter den tosenden Böen und mehr als
einmal befürchteten sie, zusammen mit dem Haus weggeweht zu werden.
Die Betonstelzen, die Sarahs Haus sonst so gut gegen überschwemmendes
Wasser geschützt hatten, waren heute nutzlos - schlimmer, sie waren
verhängnisvoll.
Denn Waka fuhr jetzt nicht nur ums, sondern auch unter das Haus und drückte
wuchtig
gegen die Holzbohlen des Fußbodens.
Der Boden hob und senkte sich.
Hören konnte man das Ächzen des Hauses in dem Getöse zwar nicht, wohl
aber das Knirschen und Bersten von Holz unter den Füßen spüren.
Sarah wurde unheimlich zumute.
Sie hatte den Eindruck, Waka versuche von allen Seiten, Oben und Unten
durchs Haus zu brechen, um ihrer habhaft zu werden und mit sich fort zu
wehen.
Ihr Herz stockte, als der Hurrikan unter das erste Blech des Daches zog
und es mit lautem metallenen Knall vom Dachstuhl abhob.
Als die Böe etwas abflachte, schnappte Sione Sarahs Hand und bedeutete
ihr per Kopfnicken, schnell das Haus
zu
verlassen.
"Raus ??" schrie Sarah ungläubig und vergaß ganz, dass Sione
sie in dem grässlichen Heulen, Pfeifen und Krachen ja kaum hören konnte.
Als geborener Tonganer kennt sich Sione seit Kindheit mit Zyklonen aus.
Seinen ersten Wirbelsturm hatte er 1961 als kleiner Junge erlebt. Namen
und Jahreszahlen der letzten Zyklone kann er nur so herunterspulen: Isaac
’82, Hina ’97, Kelly ’98, Kina ’99 und jetzt, in den ersten Stunden 2002,
Zyklon Waka.
Mit jedem Namen verbindet er heftigste Erinnerungen.
„Ich sollte ihm blind vertrauen“ dachte Sarah, aber da zerrte Sione sie
bereits seitlich an die Haustür.
Mit
ausgestrecktem
Arm drehte er am Türknauf. Schnell zog er die Hand zurück, als Waka die
Tür packte, gegen die Hauswand schmetterte und aus den Angeln riss.
Waka sauste jetzt mitten durchs Wohnzimmer, schleuderte das Interieur
durch den Raum und setzte alles mit schwallweise- waagerechtem Regen unter
Wasser.
Gegen den Sturm ankämpfend krauchte Sarah aus ihrem türlosen Haus. Obwohl
Sione sie schützte, klatschte der Regen schmerzhaft gegen ihren Körper
und ihr Gesicht brannte wie Feuer.
Jetzt gab es nur noch einen relativ sicheren Ort:
Den Regenwassertank.
Der Weg dorthin war ihr zwar auch in Dunkelheit vertraut, doch diesmal
mussten
sie sich mühsam ihren Weg über Äste, Bretter, Kokosnüsse und Gott- weiß-
noch- was bahnen.
Und sie liefen nicht, sondern robbten.
Respektvoll vorbei an ihrem Blechdach, das sich mit einem Ende am Zaun
verhangen hatte und mit dem anderen wild knatternd im Hurrikan schlug.
Stets auf der Hut, nicht von einer der umherfliegenden Gemischtwaren getroffen
zu werden.
Den Deckel des Betontankes hatten sie glücklicherweise schon am Nachmittag
abgehoben und wie in einer Vorahnung hatte Sione auch eine Leiter an der
rauen runden Betonwand des Regenwasserreservoirs festgebunden.
Lediglich das Wasser hatte er noch nicht ablaufen lassen.
Das rächte sich jetzt.
Sione half der keuchenden Sarah auf die Leiter, bis sie kopfüber vor der
kreisrunden
Einstiegsluke hing.
Das Loch des Tanks erschien dunkel und bedrohlich. Doch für Angst war
jetzt keine Zeit. Nichts wie rein da!
Aber Waka hatte vorgesorgt: Bevor er das Dach abdeckte, hatte er noch
großzügig den Wassertank gefüllt. Und zwar bis zum letzten Tropfen.
Vor Schreck fiel Sarah fast von der Leiter, als ihr Kopf unerwartet ins
Wasser tauchte und sie keine Luft mehr bekam.
Sione meinte es gut, hielt sie fest und drückte sie von unten noch tiefer
unter Wasser. Erst als sich das überschwappende Wasser im Schwall über
ihn ergoss erkannte er, dass der Tank bis oben gefüllt und er im Begriff
war, Sarah zu ertränken.
Irgendwie gelang es Sarah in voller Montur so ins Loch zu
steigen,
dass nur noch ihr Kopf heraus guckte.
Mit beiden Händen klammerte sie sich am Rand fest, während Sione aus dem
Windschatten heraus und um den Tank herum musste, um den kleinen Wasserhahn
des knapp 3m hohen Tankes zu öffnen.
Danach wollte auch er in den Tank steigen.
Ein ausgewachsener Tonganer mit 130 gesunden Kilos Lebendgewicht wollte
seinen massigen Körper durch eine Luke zwängen, in dem schon ihr Kopf
steckte.
Vom Hals abwärts im Wasser, das Tosen und Wüten des Sturmes in den Ohren
und die
Haare
zu Berge.
Panik stieg in ihr auf.
Da machte es in Sarah „Klick“.
Plötzlich nahm sie die ganze groteske Situation wie durch eine Kamera
wahr. Wie eine dritte, unbeteiligte Person.
Und statt verrückt zu werden, kam von irgendwo erleichternder Humor:
„Das kann man ja doch keinem erzählen - das glaubt einem ja
doch keiner “ grinste Sarah und fühlte, wie ihre Lebensgeister zurückkehrten.
Dann holte sie tief Luft, senkte den Kopf unter Wasser und tauchte ab
zur Mitte des Regentanks. Da, wo er leicht
nach
oben gewölbt ist. Da, wo Waka keine Gewalt mehr über sie haben würde und
da, wo sich aller Voraussicht nach eine lebensrettende Luftblase gebildet
hatte.
"Fefe hake ?" fragte Sione, als sie schließlich beide, Kopf
an Kopf aus der Luke des Regentankes schauend im Regenwasser hingen und
darauf warteten, dass der Wasserspiegel endlich sinken möge.
"Sai, malo" schnatterte sie vor Kälte, aber in dem Bewusstsein,
Waka für’s Erste entronnen zu sein.
„Wenn wir nicht ertrinken" fügte sie leise hinzu. Doch ihre Stimme
hallte
unnatürlich laut von den Tankwänden zurück.
Sie verabredeten, in verschiedenen Richtungen über den Rand des Einstieges
zu schauen, um nicht von UFOs getroffen zu werden.
„Bei uns schwimmen Sie in der ersten Reihe“ meldete sich ihr Humor wieder,
als sie, wie von einem Logenplatz aus, dem weiteren Verwüstungswerk Wakas
zuschaute...
Zunächst kaum merklich, war der Wasserstand des Regenwassertanks inzwischen
gesunken und sie hielten sich, Arme nach oben, noch immer am Rand des
Einstiegloches fest.
Bis zur
Gürtellinie
im Wasser hängend, konnten sie zwar nicht mehr nach Draußen sehen, aber
das unvermindert anhaltende Heulen des Sturmes verriet ihnen genug.
Wenn nur dieses nervtötende Pfeifen am Einstiegsloch endlich aufhören
würde. Ohnmächtig hatte sich Waka nämlich mittlerweile auf psychologische
Kriegsführung verlagert und spielte markerschütternde Flötentöne auf der
kreisrunden Luke ihres Betongefängnis’.
Da krachte, splitterte und schepperte es draußen. Etwas Schweres rummste
hart gegen ihr Aquarium und ließ die dünnen Betonwände des Wassertanks
erbeben.
Beide wussten, dass der Rest von Sarahs Häuschen soeben „vom Winde verweht“
worden war.
Da wurden Sarahs Arme zu kurz, ihr Körper zu schwer.
Sie ließ den Rand des Einstiegloches los und glitt vollends ins schwarze
Wasser. Ab jetzt hieß es schwimmen, bis der Wasserpegel „Nichtschwimmer“
erreicht haben würde. Sarah riss sich die störenden Klamotten vom Leib
und begann, schwimmend ihre Runden zu drehen. Sione hätte es zwar noch
ein bisschen länger hängend ausgehalten, leistete ihr aber Gesellschaft.
Sie versuchte an etwas Anderes zu
denken.
An was erinnerte sie diese Situation nur? Richtig, an das Mega- Aquarium
im Wisma Atria Shopping Center in Singapur. „Aber die armen Schwarz- Spitzen-
Riff- Haie haben lebenslänglich“ dachte sie traurig.
Der Himmel über ihrem Loch klarte auf, als das Wasser nur noch wadenhoch
stand und sie völlig erschöpft mit dem Rücken an der Wand lehnend, wie
in einem Sitzbad auf dem Boden des Regentanks hockten.
Nach dem tosenden Lärm von vorher war die jetzige Stille fast ebenso beunruhigend,
aber die leuchtenden Sterne über ihnen signalisierten Entwarnung.
Wie sollten sie jetzt wieder aus dem Tank kommen?
Die Einstiegsluke war 3m über ihnen und die Aluleiter hatten sie, in dem
Bestreben schnell ihr Leben zu retten, natürlich draußen gelassen.
Blieb nur die Spitzbubenleiter. Gar nicht so
einfach
im Dunkel des Regentanks.
Beim dritten Versuch schaffte es Sarah, über Siones Oberschenkel und gefalteten
Hände hinweg auf seine Schultern zu kraxeln und sich mit Klimmzug durch
die Luke zu zwängen.
Unter dem sensationell klaren Himmel einer Südsee- Fast- Vollmond- Nacht
mit Millionen funkelnder Sterne entzurrte sie die Leiter, zog sie hoch
und ließ sie in den Tank herab, um Sione aus seinem nassen Karzer zu befreien.
Dann gewahrten sie das Chaos um sie herum.
Fast das einzige, was von ihrem Häuschen noch stand, waren die Betonpfeiler,
auf denen es einst ruhte. Zwischen ihnen verstreut lagen kreuz und quer
Bretter. Dazwischen eingeklemmt oder an rostigen Nägel verfangen ein paar
ihrer Habseligkeiten.
Fassungslos irrte Sarah im Mondlicht auf ihrem Grundstück
umher.
Ihre zerborstene Kommode baumelte im Schrott. Waka hatte sämtliche Schubladen
aufgerissen, durchwühlt und ihre Papiere in alle Stürme verstreut.
Sarah besaß nichts mehr außer ihren nassen Kleidern, die noch irgendwo
im Regentank schwimmen mussten.
Und dann kehrte Zyklon Waka zurück. Denn er hatte sie die ganze Zeit in
seinem Auge gehabt...
Silvester auf Vava’u ? „A big party with a big mess afterwards” lautet
Siones
typisch
tonganisch- lakonische Kurzversion dieser Silvesternacht.
Am nächsten Morgen war Vava’u kaum wiederzuerkennen.
Die Bäume trugen keine Blätter mehr, die gestern noch grüne Insel sah
mit einem Mal braun aus.
Nur einige Palmenblätter hatten sich noch auf den Bäumen gehalten, aber
sie waren bizarr verdreht und zerfetzt.
Auf allem lag ein dicker salziger Belag und alle Ritzen und Fugen waren
angefüllt mit feinstem weißen Flugsand...
Das
Leben geht weiter und für weitere Augenzeugenberichte dieser vava'uanischen
Silvesternacht bleibt keine Zeit.
Ein glaubhaft rein wohltätiges Spendenkonto haben wir auch später
nicht gefunden.
Weitere Infos über Waka in der englischen Kurzversion: Cyclone Waka
Unser Tonga-Tagebuch jedoch geht weiter mit einer
Sightseeing- Tour über Tongas Hauptinsel Tongatapu.
Bitte umblättern...
Schon mal gesucht?
Probier's mal!
|
|
Schon mal probiert?
Such mal!
|
Update:
|